Dr. Carl Hartlaub lernte ich vor etlichen Jahren in einem Berliner Antiquariat kennen.
Er war – mit Verlaub – eine ältere, zerschlissene und etwas zerzauste Erscheinung.
Ohne seine Schachspielereigenschaft und dem Versprechen von Glanzpartien wäre er mit Sicherheit meiner Aufmerksamtkeit entgangen.
So landete er aber in 2. Auflage von 1923 in meinem Bücherschrank und wurde wegen seines Allgmeinzustands von mir nur ganz vorsichtig angeblättert. Seine Gesichter (Diagramme)
versprachen aber schon damals ein interessantes Miteinander.
Ich möchte ihn Euch nun mal etwas vorstellen, zumal eine Affinität zum hiesigen Forum
auffällig ist:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Hartlaub
Er wurde in Bremerhaven geboren (anderslautend Wikipedia!) und lebte und wirkte weitgehend in Bremen. Doch verbrachte er wohl auch Studien-, Examenszeiten in Freiburg im Breisgau.
Sein Stil entspricht demjenigen, der Schach mit Mut zum Experiment und aus Spaß an Entdeckungen und Abenteuern ohne vorrangige Ergebnisorientierung spielt. Ich vermute hier durchaus einen Ausgleich zu seinem bürgerlichen und beruflichen Werdegang.
Mit seiner Schacheinstellung ist er mit Sicherheit eine Bereicherung für die „Kiste“ und deshalb wollen wir ihn mit ein paar Partien aufnehmen.
Ich habe hier 2 Partien gegen starke Gegner ausgewählt, die gewisse Parallelen aufweisen und in denen er mit der „Hartlaubschen Springerzange“ arbeitet – ein von mir heute vermutlich neu geprägter Schachbegriff, auf den ich aber sicherheitshalber kein Copyright erhebe.
Ich der beigefügten PGN-Datei befinden sich noch einige weitere interessante Partien gegen prominente Gegner.
Also, Vorhang auf für den Bremer Opfermeister:
Carl Carls – Dr. Carl Hartlaub Bremen 1920 (A40)
Im „Hamburger Echo“ wurde die folgende Partie von Ernst Schuette eingeleitet:
„Die folgende bisher unveröffentlichte Partie ist die neueste Schöpfung der Schachmuse
des als Angriffsspieler berühmten Bremer Rechtsanwalts Dr. Hartlaub.
Wenn auch der gelehrte Schachkritiker über das neue Hartlaudgambit zweifelnd
oder missbilligend das Haupt schütteln mag, die Partie enthält eine solche Fülle von Geist,
daß jeder Schachfreund in das höchste Entzücken geraten muß.“
1. c4 b6 2. d4 Bb7 3.Nc3 e6 (Er lockt ihn aus der Reserve. -3… Nf6 4. f3!?)
4. e4 (Ein mutiger Schritt fuer einen eingefleischten 1. c2-c4-Spieler!) 4… f5 (stilgemaess – alternativ:4… Bb4)
5. exf5 Nf6 (und weiter…) 6. fxe6 Be7 (und weiter – development first!) 7. Nf3 O-O 8. Bd3 dxe6 9. O-O Nc6 10. Re1(wird von Schuette mit ? kritisiert, der Le3 vorschlaegt.)
10… Nb4 11. Be2 (etwas sehr vorsichtig und bescheiden.. Zurückhaltender,hanseatisch-gediegener Adelsstil? – 11. Be4 (Schuette) 11… Nxe4 12. Nxe4 c5 – 11. Ng5! mit deutlichem Vorteil lt.shredder)
11… Ng4
(Kavallerieattacke a la Hartlaub und Vollendung der Springerzange in Perfektion! Er hat fast alles entwickelt und seine Vorhut steht jetzt auf b4 und g4, während die Artillerie zumindest von b7 und f8 aus Mass nimmt! Vielleicht weniger eine Attacke im Stile des BGB als ein Ausflug im Sinne der Strafprozessordnung. Ich habe keine direkte Ahnung, welche Assoziationen Juristen waehrend ihrer Schachpartien bewegen. Vielleicht gibt es hier ja mal Erfahrungsberichte. Die Zahl schachspielender Juristen war und ist ja betraechtlich.)
12. a3 Nxf2 (Was kostet die Welt? Ein Springer auf Entdeckungsreise.. Man beachte die dahinter liegende Idee und den Angriffsmut. Carl Carls war kein „Leichtmatrose“.)
13. Kxf2 Nc2! (Die Idee des Opferspiels!)
14. Qxc2 Qxd4+ 15. Be3 (15. Kf1 Bc5 oder 15. Kg3 Bxf3 16. gxf3 Qh4+ (16… Bh4+ 17.Kh3 Bxe1) 17. Kg2 Qxe1) 15… Bh4+ 16. g3 Qg4 17. Nd5? (17. Qd1 – shredder – Rad8 18. Nd5 exd5 19. Qd4 -17. gxh4?? Rxf3+) 17… exd5 18. Kg1 (besser 18.c5 Qh3 (18… d4 19. c6 dxe3+ 20. Kg1) 18… Rae8 19. Kg2) 19. Rh1 (19. gxh4?? Qxh2+ 20. Kf1 Rxf3+ (20… Ba6 – shredder) – 18. gxh4? d4)
18… Bxg3! jetzt wird zugepackt: -+19. h3 (19. hxg3 Qxg3+ 20. Kh1 (20. Kf1 Bc8) 20… d4) … Qxh3 20. Bf1 Qg4 21. Bg2 d4 22. Nh2 Bf2+ (elegant und präzise!) 23. Qxf2 Rxf2 24. Nxg4 Rxg2+ 25. Kf1 dxe3 0-1