Pro und Contra des beschleunigten Schweizer Systems

Nachdem ich mit 19Fabi87 mich bereits im Chat darüber ein wenig unterhalten habe, möchte ich gerne einen Thread über das beschleunigte Schweizer System aufmachen.

Zunächst mal eine Erklärung, was das Schweizer System ist:

Wikipedia drückt sich etwas kryptisch aus:

Da in den ersten Runden der Unterschied in der Spielstärke der Gegner sehr groß ist, gewinnt fast immer der stärkere Spieler. Somit ist der Informationsgehalt dieser Runden gering. Die Idee des beschleunigten Schweizer Systems ist es, stärkeren Spielern vor der ersten Runde Bonuspunkte zu geben. So spielen die stärkeren Spieler bereits in den ersten Runden gegeneinander. Zu einem späteren Zeitpunkt im Turnier werden die Punkte dann (schrittweise) wieder entfernt. Dies führt am Ende des Turniers zu einer größeren Genauigkeit an der Tabellenspitze.

Die Kurzzusammenfassung:

Beim normalen Schweizer System wird die Gruppe der punktgleichen Spieler in eine obere Hälfte und eine untere Hälfte geteilt. Die obere Hälfte spielt gegen die untere Hälfte.

Beim beschleunigten Schweizer System wird die Gruppe der punktgleichen Spieler in 4 Viertel geteilt und es spielen die beiden oberen Viertel und die beiden unteren Viertel gegeneinander.

Im Allgemeinen gilt der große Vorteil, dass beim beschleunigten Schweizer System mehr Teilnehmer an einem Turnier teilnehmen können und es immernoch einen eindeutigen Sieger gibt (man geht hier von einem „idealen Turnier“ aus, wo sich die nominellen Favoriten immer durchsetzen). Dies gilt vor allem bei 5-ründigen Turnieren, wo ja bei normalem Schweizer System nur 2^5 , also 32, Spieler teilnehmen könnten ohne dass mehrere punktgleiche Spieler das Turnier beenden, ohne gegeneinander gespielt zu haben (in der Praxis funktionieren 5-ründige Turniere sogar teilweise noch mit 70 Teilnehmern).
Bei einem beschleunigten Schweizer System spielen starke Spieler schneller gegeneinander, was zu eindeutigen Siegern an der Spitze führt (wieder der Idealfall). So können bis zu 64 Teilnehmer bedenkenlos teilnehmen.

Ein weitaus praktischerer Grund ist, dass früher gleichstarke Gegner gegeneinander spielen. Es kommt also nicht zu den klassischen Erstrundenpartien (1600 vs. GM/IM; 1800 vs. DWZ-los), was für jeden beteiligten sportlich interessanter sein sollte (falls man nicht darauf steht von GMs besiegt zu werden).

Ein Nachteil laut Fabi ist, dass ein mittelmäßiger Spieler nicht mehr eine besonders hohe Leistung bringen muss, um in die Spitzengruppe vorzustoßen. Leider ist die Konversation bereits gelöscht, aber Fabi zeigte etwa folgendes Szenario auf:

Turnier bis 2000, 5 Runden beschleunigtes Schweizer System. Spieler hat ~1600.
Erste Runde: Sieg gegen 1400
Zweite Runde: Sieg gegen 1500
Dritte Runde: Sieg gegen 1600
Vierte Runde: (glücklicher?!) Sieg gegen 1800
Fünfte Runde: Remis gegen 1900er
Ergebnis: 4,5/5 und sicherlich eine Platzierung im oberen Bereich. Leistung etwa 2100 laut DWZ-Rechner.

Im normalen Schweizer System hätte der gleiche 1600er eine wesentlich höhere Leistung abrufen müssen um in den selben Punkte- und Platzierungsbereich zu gelangen.

Somit würde das Endergebnis nur durch den Modus verfälscht.

Ebenso stellt sich die Frage, ob das beschleunigte Schweizer System bei größeren 7-ründigen Open (z.B. Post-Open in Düsseldorf 2011 (ca. 120 Teilnehmer)) oder sogar 9-ründigen Turnieren (Gibraltar Schachkongress 2012) wirklich notwendig ist. Diese Turniere haben ja nicht annähernd die Problematik der nicht-eindeutigen Sieger (falls es überhaupt ein Problem ist).

Edit:

Zwei kleine Korrekturen:

– Zur 1. Runde muss das Feld nicht unbedingt in vier Viertel geteilt werden.
Man teilt das Feld nach der Startrangliste in eine obere und eine untere Gruppe. Die Gruppen können auch unterschiedlich groß sein, wobei man die obere Gruppe eventuell kleiner macht (z.B. 30:70).

– Das vorrangige Ziel des beschleunigten Schweizer Systems ist NICHT in einem kurzen Turnier einen eindeutigen Sieger auszuspielen (dafür gibt es Feinwertungen oder Stichkämpfe nach Belieben des Veranstalters). Vorrangig geht es darum, dass Spieler in einem stark besetzten Open (wie aktuell Gibraltar) Titel-Normen erspielen können – und dafür hilft es, wenn sie sich nicht am Anfang mit „Luschen“ herumschlagen, die den Gegner-Schnitt absenken.

Das große Problem beim beschleunigten Schweizer System ist der Übergang zum „normalen“ Schweizer System, typischerweise in der 2.-3. Runde. Wenn man die Parameter geschickt einstellt, bekommt man in der 2. oder 3. Runde genau die Paarungen mit sehr großen Differenzen, die man in der 1. Runde vermieden hat. Die Olympiade in Dresden 2008 war ein kritisches Beispiel.

(Und wenn du das Post-Open erwähnst: 2011 habe ich nur mäßig gespielt, dennoch waren meine Gegner in der 4. und 6. Runde fast genauso stark wie 2009 im „normalen“ Schweizer System meine Gegner in der 1. und 3. Runde – ca. 550 bzw. 350 Punkte stärker als ich.)